02January 2005
A rough Ride
Sag mir, wo sind meine Pillen hin? Wo sind sie geblieben???
Meine kleinen hellblauen Anti-Reiseübelkeits-Pillen haben sich in Luft aufgelöst. Sie sind schlichtweg nicht mehr auffindbar! Auch die dritte Durchsuchungsaktion unserer Rucksäcke brachte sie nicht wieder zum Vorschein. Wahrscheinlich tauchen sie in Neuseeland wieder auf… Doch für die anstehenden Kurvenfahrten im Norden von Laos blieben sie verschollen. Zum Glück hatte ich noch die Schieß-Dich-ins-Koma-Pillen von Manuela!
Nicht nur mir wird furchtbar übel….
Wir bestiegen den Bus und als erstes fielen mir die durchsichtigen Plastiktütchen auf, die alle paar Zentimeter von der Haltestange baumelten: laotische Spucktüten! Ein sicherer Hinweis, dass die nächsten 4 Stunden extrem kurvig und holprig werden würden. Schnell noch eine halbe Koma-Pille eingeworfen. Mir ging es damit prima, nicht so der Hälfte aller Laoten. Die Geräuschkulisse im Bus war unbeschreiblich. Ein Gerotze und Gekotze vom feinsten. Manche nutzten die Plastiktüten, doch die meisten zogen das offene Fenster vor. Kleine Szenen brachten meinen Magen trotz Pille in Aufruhr, z.B. als ein alter Laote in der Nachbarsitzreihe sich über seinen Nachbarn hinweg aus dem Fenster beugte und zwischen zwei Kotzwellen seine Dritten mit einem schmatzenden Geräusch in Sicherheit brachte. Als wir in Odoum Xai ankamen, erschauderte ich beim Anblick des Busses.

Eiskalter Wind auf einem 1000 Meter Pass
Von Odoum Xai nach Nong Kiao verkehren keine Busse, nur Songtheos. Nach 45 Minuten hatten sich genügend Fahrgäste eingefunden, dass sich die Fahrt für den Fahrer lohnte. Zwischen den beiden Sitzreihen türmten sich Reissäcke, Pakte und kleine Rucksäcke. Für lange Westler-Beine verblieb schmerzhaft wenig Raum. Mit ein bisschen Schieben und Drücken passen fünf Personen auf jede der seitlichen Sitzbänke. Wir waren zu zwölft. Statt mich auch noch hineinzuquetschen zog ich es vor draußen auf dem Trittbrett zu stehen und mich am Dachgepäckträger festzuhalten.

Einige Zeit war ich auch felsenfest davon überzeugt, dass ich – abgesehen von den Plätzen in der Fahrerkabine – den Luxusplatz ergattert hatte. Doch als wir uns höher und höher die Berge hinaufschraubten bereute ich es zutiefst meinen Fleece nur um den Bauch gebunden zu haben. Bei dem Geschaukel und der Geschwindigkeit wollte ich weder mein wärmstes Kleidungsstück verlieren noch einen ungewollten Abgang hinlegen. Doch nach weiteren fünf Minuten ließ mich die eisige Kälte des Fahrtwindes diese Risiken auf mich nehmen. Erfolgreich!
Nach einer Stunde hielten für einen kurzen Pinkelstop in einem kleinen Bergdorf. Mir wurde mal wieder klar, wie unglaublich praktisch die um die Hüften gewickelten Röcke der einheimischen Frauen sind. Sie setzen sich einfach direkt neben die Straße und sind erlöst, während wir Westlerinnen in unseren Hosen nach einen schützenden Gebüsch Ausschau halten und nicht immer fündig werden.
Andreas und ich tauschten unsere Plätze. Anfangs dachte ich, dass ich meine Beinfreiheit gegen etwas Wärme eingetauscht hätte. Doch weit gefehlt! Wir saßen mitten im Windkanal. Oberhalb der Fahrerkabine und von der Seite pfiff der Wind in den Innenraum. Das Songtheo kämpfte sich weiter bergauf bis wir als höchsten Punkte einen 100 Meter Pass erreicht hatten und es anschließend in rasanter Fahrt wieder abwärts ging. Keiner sprach ein Wort. Jeder für sich war in seinem eigenen Kälte-Kokon gefangen. In diesen Situationen, in denen ich das Gefühl habe es gleich nicht mehr ertragen zu können aber gleichzeitig genau weiß, dass es kein Entrinnen gibt, muss ich an die Indianerin in dem Buch der Schamane von Noah Gordon denken. Sie schafft es in Momenten extremen Schmerzes ihren Körper zu verlassen und an einem anderen Ort zu verweilen. Ich bin zwar von der Perfektionierung dieses Mechanismus noch Lichtjahre entfernt, doch immerhin gelingt es mir einen Egalitätszustand zu erreichen, der mich nur noch alle 30 Minuten einen Blick auf die Uhr werfen lässt.
Nach einer weiteren Stunde hatten wir das nächste Tal erreicht, die Sonne kämpfte sich langsam durch die Wolken und wir begannen wieder aufzutauen. Unsere mobile Gefriertruhe hatten sich einen Kühlschrank zurückverwandelt. Selten war ich so froh am Zielort anzukommen wie in Nong Kiao. Eins ist gewiss: eine unvergessliche Fahrt!